Perfect Days und die japanische Lebensphilosophie von Sauberkeit, Reinheit und Ordnung
Ein besonderer Abend mit einem besonderen Menschen und einem besonderen Film. Einladung ins Filmcasino Wien, ein Programmkino im Stil der 1950er- Jahre, ein Geschenk von Ben, meinem ältesten Sohn. Perfect Days, ein poetischer Film über einen Kloputzer, Kinomeditation zwischen Zen und Grossstadtleben, eine Hommage an Japan und seine Lebensphilosophie der Sauberkeit, Reinheit und Ordnung sowie seine Zuneigung zu den kleinen Dingen und Aufgaben des Lebens. Hier ein aussagekräftiger Trailer:
Perfect Days – Perfect Day, Feeling Good
Ein Mann liegt vor dem offenen Fenster seines spärlich eingerichteten Zimmers: eine Futon-Matte auf dem Boden, ein kleines Regal ordentlich sortiert mit Musikkassetten, eine kleine Leselampe für die wenigen Bücher, die er jede Woche gebraucht kauft und wieder verkauft. Die Sonne scheint ihm ins Gesicht, er liegt einfach da und hört Musik.
Es ist eine von vielen Momentaufnahmen, einer von vielen Einblicken in das alltägliche Leben der Hauptfigur Hirayama. Es sind Rituale und Routinen: das morgendliche Aufstehen, Anziehen, Zähneputzen, Fertigmachen, das Ziehen eines Kaffees in einem Automaten vor seiner Wohnung, der Weg zur Arbeit, das tägliche Aussuchen der perfekten Musik für den Tag.
Es passiert nicht viel im Leben das alleinstehenden Toilettenreinigers, der im Dienste des Allgemeinwohls sehr reduziert lebt. Er ist kein Mann der großen Worte, er spricht kaum bis selten, geht jeden Tag in denselben Park zur Mittagspause, abends in ein öffentliches Badehaus zum Duschen, danach in ein kleines Restaurant, um Suppe zu essen. Manchmal einen Drink.
Noch bevor die Sonne über Tokio aufgeht, steht Hirayama auf. Einen Wecker braucht er nicht, denn das Fegen des Straßenkehrers beendet jeden Morgen seinen Schlaf. Hirayamas Job ist es, die öffentlichen Toiletten im Shibuya-Viertel zu reinigen. Toiletten, die nichts mit dem traurig-tristen stillen Örtchen hierzulande gemein haben – Design-Perlen, mal aus Holz, mal mit futuristischen Licht- und Glasinstallationen. Alle sauber, weil sie von Männern wie Hirayama mit liebevoller Hingabe gereinigt werden.
„Wir wissen alle, dass es mit dem Planeten nicht so weitergeht, wenn wir alle immer mehr haben wollen, als wir brauchen. Also müssen wir lernen uns zu beschränken. Deshalb hatte ich den Wunsch, einen zu zeigen, der uns einfach vormacht, wie es gehen kann. Nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Freude.“ Wim Wenders
Hauptdarsteller Koji verkörpert eine unglaubliche Würde und Menschlichkeit in allem, was er tut. Oft wurde ohne zu proben einfach mitgefilmt, was Koji gemacht hat und direkt in den Film übernommen. „Perfect Days“ ist ein großartiger Film – ganz ruhig, ganz zärtlich, poetisch und voller Schlichtheit. Lou Reed ist so etwas wie der Schutzpatron des Films mit seinem episch-schönen gleichlautenden Lied, das einmal ganz und zum Ende in einer sanften Pianoversion gespielt wird…
Perfect Day (Piano Komorebi Version) – YouTube
Dass Japan 2024 ausgerechnet diesen Film ins Rennen um den Oscar als bester internationaler Film schickte, zeigte, wie tief die Themen „Toilette“ und „Sauberkeit“ in der japanischen Kultur verwurzelt sind, denn Sauberkeit ist in Japan weit mehr als Reinigung oder Ordnung halten. Es ist eine Philosophie, die den Alltag und das ganze Leben der Japaner:innen beeinflusst – übrigens unabhängig von hierarchischen Strukturen, die sonst in der Gesellschaft eine große Rolle spielen. Unter Japans Top-Managern hat das Toilettenputzen Tradition, es zählt – so merkwürdig das klingen mag – bis heute zu ihren Erfolgsrezepten. Der Gründer von Panasonic, Konosuke Matsushita, setzte schon in den 1920er-Jahren auf das Putzen der Bürotoiletten. „Wer einen so unangenehmen Ort reinigt, der zeigt seinen wahren Charakter als Mensch“, wird Matsushita von der Wirtschaftswoche zitiert. Der Gründer und CEO des Internetunternehmens Rakuten, Hiroshi Mikitani, schwört ebenfalls auf das Toilettenputzen. Jeden Montagmorgen schrubbt er – zusammen mit seinem Personal – die Firmenklos.
„Das Reinigen von Toiletten macht Menschen demütig.“ Shuzaburo Kagiyama
Multimillionär Shuzaburo Kagiyama, der ein landesweites Netz von Filialen für Autozubehör aufbaute und über 2000 Mitarbeiter beschäftigt, vertritt dieses Credo: Es geht dem mittlerweile über 90-jährigen darum, den Kardinalfehler Arroganz zu vermeiden. Und um Teamgeist. Beim Reinigen der Toiletten und Büroräume, ja selbst beim Fegen der Straßen und Müllsammeln in der Nachbarschaft helfen seine Mitarbeiter:innen freiwillig und unbezahlt mit. Ältere und Jüngere gleichermaßen. Dazu kommen sie morgens zwei Stunden, bevor ihre eigentliche Arbeit beginnt. Für diese sei das keine lästige Pflicht, im Gegenteil es gibt ihnen ein gutes Gefühl, etwas für die Gemeinschaft tun.
Etwas für die Gemeinschaft zu tun, das ist auch die Motivation der Non-Profit-Organisation „Green Bird“, die landesweit aktiv ist. Putzkolonnen, die sich aus Menschen jeden Alters und jeder Gesellschaftsschicht zusammensetzen, ziehen täglich mit Müllsäcken in unterschiedlichen Farben bewaffnet los, um die öffentlichen Plätze, Parks und Straßen zu reinigen. Im Vergleich zu anderen Ländern ist Japan ohnehin makellos sauber. Nur selten findet man achtlos weggeworfenen Müll oder Graffiti an Hauswänden, praktisch nie Zigarettenstummel oder auf Gehwegen klebende Kaugummis. Das bisschen Müll sammeln die Freiwilligen streng getrennt nach Recyclingvorschriften. Selbst in den Millionenmetropolen Tokio, Yokohama oder Osaka ist es absolut sauber, obwohl es nur wenige öffentliche Mülleimer gibt. Die brauchen sie auch nicht, denn wenn sie privat unterwegs sind, haben sie immer eine kleine Mülltüte dabei. Diesen Müll von unterwegs entsorgen sie dann zu Hause.
Die Hauptmission der Non-Profit-Organisation „Green Bird“ ist es, Städte sauber zu halten und das Bewusstsein für Umweltprobleme zu schärfen. Bei den regelmäßig organisierten Müllsammelaktionen kann jeder mitmachen.
Apropos zu Hause: Wie sieht es eigentlich hinter den Wohnungstüren aus? Die Antwort ist schlicht und einfach: sauber. Viele Japaner:innen setzen auf die Reinigungsratschläge der in Tokio geborenen Marie Kondo, die durch Bücher wie „Magic Cleaning“ und die erfolgreiche Netflix-Serie „Aufräumen mit Marie Kondo“ weltberühmt geworden ist. Schon als Studentin hat die heute 42-Jährige ihre Putz- und Aufräumleidenschaft zum Beruf gemacht und ist dank der von ihr erfundenen „KonMari“-Methode inzwischen Multimillionärin. Ihr Credo: Ordnung beschert ein glücklicheres Leben. Ihre Tipps: Putze minimalistisch, mit Wasser und Tüchern und so wenig Chemikalien wie möglich. Und: Behalte nur das, was dir wirklich Freude bereitet. Wenn dir ein Gegenstand nicht sofort ein Glücksgefühl bereitet, bedanke dich bei ihm für seine Dienste – und dann trenne dich von ihm. Bei den unzähligen Wohnungen im Miniformat, die schnell aus allen Nähten platzen, beherzigen viele von Kondos Landsleuten das systematische Ausmisten.
Laut Reinigungs-Guru Marie Kondo (rechts im Bild) haben alle Gegenstände eine Seele und Gefühle. Wer sie achtlos auf einen Haufen wirft oder in eine Schublade stopft, macht sie unglücklich und zerquetscht sie. Dann ist es besser, sie wegzugeben, um sie von ihrem momentanen Leiden zu befreien.
Sinngemäß ist das Ganze so zu verstehen: Sei deinem dreckigen Geschirr dankbar, dass du es abwaschen darfst. Denn deine Teller und Tassen ermöglichen es dir, von ihnen zu essen. Achte und reinige sie und gib ihnen einen guten Platz, damit sie dir noch lange Freude bereiten.
Dass sich Körper und Geist nur in einer hygienischen und ordentlichen Umgebung wohlfühlen, lernen schon die Kleinsten. Im Kindergarten und in der Schule gehören Aufräumen, die Essensausgabe, der Abwasch, Bodenwischen und selbst das Toilettenputzen zum täglichen Stundenplan. Für Japans Nachwuchs ist das Putzen keine Strafe oder lästige Pflicht, sondern eher so etwas wie eine unterhaltsame Gemeinschaftsbeschäftigung.
Auch das gemeinsame Baden ist tief in der japanischen Kultur verwurzelt und wichtig für den familiären Zusammenhalt. Es fördert außerdem das Gefühl von Gleichheit, da alle Badenden, unabhängig von ihrem sozialen Status, die gleiche Badeeinrichtung nutzen.
Reinigungsrituale gehören in Japan zum Jahrtausende alten Kulturgut und sind ein zentraler Bestandteil des Shintoismus, der als Naturreligion neben dem Buddhismus existiert bzw. sich kontinuierlich mit ihm vermischt hat. Auch wenn nur 10 bis 15 Prozent der japanischen Bevölkerung von sich sagen, sie seien religiös, integrieren rund 90 Prozent Bestandteile beider Religionen in ihr Leben.
UND….diese Bilder gingen um die Welt…als japanische Fans nach den Spielen ihrer Mannschaft bei der Fußball-WM in Katar 2022 die Stadionränge aufräumten.
Auch die japanischen Fußballer selbst hinterlassen ihre Kabine blitzblank. Sogar nach ihrem Sieg gegen Deutschland…
Ich habe nun begonnen, diese Prinzipien, die sich in geballter Form im (Hör)-Buch Zen-Magic befinden, zumindest teilweise auch in meinem Leben anzuwenden …und man höre und staune …es macht mir wirklich Freude! Bin gespannt wie lange…aber was tut man nicht alles, um sein Herz zum Glänzen zu bringen…:-)
No Comments