DON‘T LOOK UP!
Warum wir bis zuletzt nicht hinschauen, wenn sich Katastrophen ankündigen.
Handlung:
Eine satirische Dystopie, hochkarätig besetzt mit Meryl Streep als US Präsidentin und Leonardo DiCaprio als schrulligen Wissenschaftler und seiner Doktorandin Jennifer Lawrence. Durch Zufall wird in einem Labor ein Komet mit 9 km Durchmesser entdeckt-der in circa sechs Monaten auf der Erde einschlagen wird und damit durch die Wucht seines Aufschlags horrende Naturkatastrophen auslösen wird- welche durch Erdbeben, Überschwemmungen etc alles menschliche Leben auslöschen werden. In Folge dieser Entdeckung wird der Umgang der US-amerikanischen Gesellschaft (oder der Menschheit) mit wissenschaftlicher Erkenntnis tragisch-komisch auf die Schaufel genommen. Diese Kritik ist auch in anderen thematischen Hinsichten anschlussfähig, indem sie auf die Pandemie oder die immer verschärftere Klimakrise hin zu deuten ist.
Nur langsam schafft es dieses apokalyptische Thema in die öffentliche Aufmerksamkeit, es kommt zu den absurdesten Reaktionen in den sozialen Medien und im öffentlichen Fernsehen. Der trumpesken Präsidentin passt ein Kometeneinschlag gerade nicht in den Wahlkampf, und so will sie sich erst nach der Wiederwahl mit dem Thema beschäftigen. Da die Zeit drängt, wenden sich DiCaprio und Lawrence an die (analogen) Medien. Doch auch da bleibt die erwartete Reaktion aus. Die Fernsehmoderatoren (Cate Blanchett und Tyler Perry) witzeln vor sich hin, bis Lawrence schließlich herausschreit, dass die Menschheit bald sterben werde – I want you to panic! Im Internet machen sich die Leute nun über sie lustig, während andere sich über DiCaprios Aussehen austauschen.
Nachdem diese Horror-Botschaft von anderen regierungsnahen wissenschaftlichen Institionen bestätigt wurden, wurden unterschiedliche Nationalhelden und Kriegsveteranen in den Einsatz gegen den Kometen geschickt und kollektive Initiativen gegründet, die bevorstehende Katastrophe zu ignorieren und zu persiflieren- bis der todbringende Komet als glücksbringender Lieferant wertvoller Bodenschätze gesehen wird.
Daher wird die Mission abgebrochen, weil sie den Kometen voller seltener Erden einfach zerstören würde. Auch die Bevölkerung reagiert euphorisch entsprechend ihrer kapitalistischen Konditionierung, als die Aktien des Tech-Konzerns ansteigen und die Medien die Begeisterung über die Jobs ankurbeln, die durch den Kometen entstehen…
Sogar als die letale Katastrophe bereits in Sichtweite ist, möchten die Menschen am liebsten bis zum letzten Moment -und am besten online- dabei sein im finalen Gemetzel, in dem sich der Mensch in voyeuristischer und exhibitionistischer Synchroniziät ein für alle mal auflöst- unter Trümmern zerquetscht, von Felsen und Mauern zermalmt oder von der monumentalen Kraft der Flutwellen fortgerissen und weggespült. Die Natur, die wir uns Untertan machen wollten, schlägt mit hemmungsloser Wucht und ohne Gnade zurück. Sie holt sich zurück, was wir ihr genommen haben und begräbt alles unter sich.
Und natürlich -wie in jedem Endzeitepos- richtet es sich auch hier eine letzte Elite von 2000 Menschen und enteilt der Welt in einer Raumkapsel rechtzeitig vor dem Einschlag des Kometen.
Ein kleiner verbleibender Rest der Wissenschaftler, die konsequent versucht haben, auf die sich anbahnende Katastrophe hinzuweisen, trifft sich quasi zum „letzten Abendmahl“ und begeht das Ende ihres Lebens feierlich bis besinnlich in kleiner Runde. Sie beschließen es händehaltend mit einem schönen Gebet, bevor die katastrophale Welle auch über sie herein bricht.
Der Film verfügt m.E. auch über ein großartiges Ende nach dem Ende. Im Abspann sieht man die geflüchtete Elite auf irgendeinem anderen Planten in scheinbar paradiesischer Idylle nackt herumlaufen- bis Meryl Streep von einer Art Flug-Saurier in den Kopf gebissen und getötet wird. Man kommt nicht herum darüber zu schmunzeln. Vielleicht ist Galgenhumor tatsächlich die letzte Möglichkeit mit solchen Horrorszenarien klarzukommen.
Kommentar:
Der auf Twitter sehr aktive Klimaforscher Peter Kalmus schrieb in einem Gastbeitrag für den britischen »Guardian« ,
„Don’t Look Up« sei »der Film, der die entsetzliche Nichtreaktion der Gesellschaft auf den Klimakollaps präziser darstellt als jeder andere, den ich je gesehen habe«.
Für mich ist dieser Film ein großartiges Dokument über die Dummheit, die Ignoranz und den Hochmut des Menschen, und auch über seine begrenzten Möglichkeiten. Im Titel „Don’t Look Up“ steckt natürlich das Verdrängungsmantra „schau nicht hin- dann ist es auch nicht da“. Der Mensch leugnet die härtesten Fakten aus der Wissenschaft, um sich weiterhin so schön belügen und beruhigen zu können- oder er deutet sie um: Machen wir eine Komet-Party und posten das auf Instagram. Ziehen wir die kritischen Geister ins Lächerliche und verunstalten wir sie als Memes auf TikTok.
In Abwandlung an eine der vier großen Hauptfragen von Immanuel Kant „was können wir wissen“ sollten wir uns in diesem Zusammenhang auch mal die Frage stellen „was wollen wir wissen?“ Hat Erkenntnis hat auch eine motivatorische Dimension? Will ich das überhaupt wissen? Diese Frage wird gerne ausgeblendet. Man ist immer davon ausgegangen, dass jeder Mensch wissen will, aber das ist natürlich Unsinn. Unangenehmes Wissen vermeiden wir tunlichst. Das beginnt bei Beziehungsfragen und endet bei der eigenen Gesundheit. Wegschauen ist die Norm. Hinschauen die Ausnahme. So wie im Film.
Der Film ist voller Charaktere, die die Bedrohung wortwörtlich nicht sehen wollen. Doch man sollte es sich nicht so einfach machen und sagen, der Film wolle darauf hinaus, dass die Menschheit an ihrer eigenen Ignoranz verrecke. Vielmehr gilt es zu begreifen, warum die Menschen die Wahrheit nicht erkennen wollen. Die Politiker und die Medien, die uns hier gezeigt werden, sind wichtige Akteure in Berufen, in denen Wissen ein entscheidender Faktor von Macht ist. Gleichzeitig sind sie aber auch Vertreter des Kapitalismus, also jener Gesellschaftsform, die den Grundgedanken der Aufklärung Lügen straft, Erkenntnis verändert nicht länger das Verhalten der Menschen und vielleicht hat es das auch noch nie getan. Damit Erkenntnis tatsächlich eine Wirkung entfalten kann, muss sie mit einem unmittelbaren Zuwachs an Macht oder Reichtum verknüpft sein. Mit anderen Worten ist Erkenntnis aus einer verzerrten utilitaristischen Perspektive darauf reduziert, ein Werkzeug der kurzfristigen Nutzenmaximierung zu sein. Lange vor den öffentlichen Diskussionen über den Klimawandel erklärte der holländische Philosoph Peter Sloterdijk bereits den Aufklärungsgedanken für überholt. Er schrieb:
„Der heftige antirationalistische Impuls in den Ländern des Westens reagiert auf einen geistigen Zustand, in dem alles Denken Strategie geworden ist; er bekundet einen Ekel vor einer bestimmten Form von Selbsterhaltung. Er ist ein sensibles Zusammenzucken vor dem kalten Hauch einer Realität, in der Wissen Macht ist und Macht Wissen.“ (Sloterdijk, 1983)
Der Clou des Films besteht nun darin, dass die nicht vermeidbare Katastrophe allegorisch über den Köpfen der Menschen schwebt, sich ihnen rasend nähert und damit die beschleunigte Zuspitzung erfährt, die konsequent verdrängt wird.
Der Mensch ist also nicht nur nicht in der Lage etwas Katastrophales und Bedrohliches zu antizipieren- also geistig vorwegzunehmen- wenn er es nicht auch konkret wahrnehmen kann- noch schlimmer: Nachdem der Komet sich langsam der Erde nähert und immer sichtbarer wird- wird die Parole ausgerufen „Don‘t Look up“ und die Menschen verdrängen diesen Fakt weiterhin. Was nicht sein soll, kann nicht sein. Warum ist das so?
Ein weit verbreiteter Mechanismus ist jener der (selbst)-gesteuerten Verdrängung und Verleugnung von Tatsachen. Auch heute im Angesicht der drohenden Klimakatastrophe mit kollapierenden Systemen, irreversiblen Kipppunkten und der Erschöpfung und Vernichtung unserer planetaren Grenzen sehen wir eine ganze Reihe dieser Abwehrmechanismen, die Sigmund Freud als Möglichkeiten zur Vermeidung von existentiellem Stress und negativen Emotionen beschrieben hat (Verdrängung, Vermeidung, Verschiebung, Rationalisierung, Sublimierung…) Alles davon zeigt sich hier in den Charakteren und Handlungen exemplarisch.
Man fragt sich: Warum gerät da keiner in Panik, angesichts des nahenden Ablebens aller Menschen? Diese Frage wird oft auch von Klimaaktivisten gestellt und verkennt, dass gerade die Untätigkeit Ausdruck von Panik sein kann. Wenn der Mensch unmittelbar bedroht wird, verfällt er in automatische Schutzreaktionen. Während die einen die Flucht ergreifen, gehen andere zum Kampf über. Doch gibt es noch eine dritte Form der automatischen Reaktion auf Gefahr. Manche Menschen tun einfach gar nichts. Sie erstarren und verfallen in eine Art Schockstarre, die auch in eine längere Paralyse übergehen kann. Erstarren, fliehen oder angreifen. Grosse Angst löst diese 3 verschiedene Reaktionen aus.
Der springende Punkt ist, dass Verdrängung ein Mechanismus ist, der den Geist vor einer tiefgreifenden Traumatisierung bewahren soll. In der Psychoanalyse liegt der Grundgedanke der Verdrängung darin, dass es zu einem Auseinanderklaffen von Bewussten und Unbewussten kommt. Dabei haftet die Triebenergie nach wie vor dem Inhalt an, der durch den Akt des Verdrängens unbewusst geworden ist. In der Tat kann man aus der Sicht heutiger psychologischer Forschung einige Bedenken gegen diesen Aspekt erheben. Doch der tatsächlich interessante Gedanke von Freud ist der, dass meist immer der Inhalt verdrängt wird, der nicht mit den eigenen Wertvorstellungen („Über-Ich“) in Einklang zu bringen ist. Diese sind oft identisch mit den Trieben aus der psychischen Instanz des Es. Ist das denn nicht genau das, was der Film uns zeigen will und was wir auch in der Klimakrise beobachten können? Der fundamentale, menschliche Trieb zum Überleben muss im Akt der Verdrängung zensiert werden, da er nicht mit unserer Moralvorstellung kompatibel ist, die durch primär kapitalistische Werte strukturiert wird. Nirgendwo wird das im Film so deutlich, wie im Abbruch der Mission, die den Kometen voller seltener Erden einfach zerstören würde. Doch auch bei der Bevölkerung lässt sich dieses Phänomen beobachten, als die Aktien des Tech-Konzerns ansteigen und die Medien die Begeisterung über die Jobs ankurbeln, die durch den Kometen entstehen…
Die Allegorie insgesamt steht allerdings quer zur Klimakatastrophe, weil das bloße Faktum des Zusammenpralls nicht durch die Menschen beeinflusst werden könnte, deren Auslöschung es gleichwohl bedeutet. Das ist eine Kern-Differenz, da eine Unausweichlichkeit kaum durch Engagement zu verhindern ist. Der Einschlag des Meteoriten ist hingegen ein Ereignis, das von Überlegungen zum Anthropozän im engeren Sinne unabhängig ist, und eher den Topos der Zukunft als Katastrophe auf zugespitzte Weise veranschaulicht.
Egal wie man es wendet und dreht. Eine abschließende Frage drängt sich (mir) auf: Ob man heute den legendären Satz von Ingeborg Bachmann „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ umtexten sollte auf: Die Wahrheit ist dem Menschen eine Zumutung?